Stille Kämpfe, laute Gedanken #11: Ich bin nicht meine Diagnose, aber sie gehört doch auch zu mir

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich dachte und sagte: „Ich gehe jetzt einmal in diese Psychiatrie und dann ist alles gut.“ Tja, wer es geglaubt hat … es war weder das erste noch das letzte Mal. Damals hatte ich gehofft, dass man den Kopf wie einen gebrochenen Arm behandelt – einmal Gips drumherum, ein bisschen ruhig halten und weiter geht’s. Doch so funktioniert das dann leider doch nicht. Irgendwie wusste ich es auch, habe ich doch auch damals schon eine oder andere familiäre Beispiel, die gegen diese Theorie spricht, erfahren.

Ich bin ich, nicht Herr Depression oder Herr Borderline

Was mir immer wichtig war: Ich bin nicht meine Diagnose. Ich habe Borderline. Ich leide unter Depressionen. Aber ich bin Daniel. Und ich lebe – mal besser, mal schlechter – mit diesen Diagnosen. Die Diagnosen mögen wichtig sein für Ärzte und Versicherungen, aber am Ende denke ich ist es doch egal, wie man es nennt. Man ist nicht 100% fit da oben, nicht mehr oder weniger.

Aber auch da war ich vielleicht nicht immer ganz ehrlich zu mir selbst. Denn mit der Zeit habe ich gemerkt, wie oft ich mein Verhalten damit erklärt oder entschuldigt habe: „Ich bin halt krank und ich kann nicht anders.“ Oder: „Ich bin eben launisch, weil ich Borderline habe.“ Und manchmal ist nicht mal die Krankheit, sondern einfach nur menschliches Verhalten, das jeder mal zeigt. Man darf nicht alles überbewerten und entschuldigen.

Zwischen realem Leben und Opferrolle

Ich habe auch erlebt, wie schnell man von außen geschont wird. „Das ist okay, mit der Zeit wird es besser“, oder „Ich kann nicht glauben, dass Sie das Abitur und zwei Masterabschlüsse geschafft haben“, sagte mal meine Hausärztin. Klingt nett, aber manchmal hätte ich mir mehr Ehrlichkeit gewünscht. Denn so rutscht man leicht in die Opferrolle und schiebt vieles auf die Erkrankungen, weil man vielleicht selbst nicht mehr daran glaubt, dass sich wirklich etwas ändern kann. Aber das ist gefährlich.

Psychische Erkrankungen sind Arbeit, nicht Ausrede

Gerade bei Borderline ist Veränderung harte Arbeit. Therapie, Rückschläge, Fortschritte, wieder Rückschläge. Es ist ein Prozess. Aber wenn man immer alles auf die Diagnose schiebt, wird man sich nie ändern. Ja, sie macht vieles schwieriger, manchmal scheint es unmöglich. Aber es ist keine Ausrede, um stehen zu bleiben und alles zu belassen wie es ist. Das sage ich hier so einfach, aber verhalte mich oft auch nicht entsprechend bzw. denke genauso, wie ich es hier schreibe nicht tun zu wollen.

Seismograph für (fremde) Gefühle

Ich fühle mich oft wie ein Seismograph. Ich nehme Emotionen anderer Menschen – besonders die negativen – so stark wahr, als wären sie meine eigenen. Das beeinflusst mein Verhalten enorm. Ich spreche unangenehme Dinge oft nicht aus, weil ich die Reaktionen schon innerlich spüre. Das ist anstrengend. Aber das Auszuhalten, sagt meine Therapeutin, kann man üben. Man kann lernen, für sich einzustehen, auch wenn es sich falsch oder bedrohlich anfühlt. Ich glaube das manchmal, nicht immer – vor allem nicht dann, wenn ich mal wieder anders handle als geplant. Trotz Therapie in gefühlt immer noch 8 von 10 Situationen, aber es ist eben ein Prozess - würde ich mir jetzt zuflüstern.

Was ich nicht sein will und doch schon ein wenig bin

Trotz allem ertappe ich mich manchmal bei dem Gedanken: „Ich habe xxx, ich kann das nicht.“ Und genau das will ich nicht sein. Ich will nicht der Mensch sein, der aufgibt, bevor er es versucht hat. Ich will nicht nur durch meine Krankheit definiert werden – sondern auch durch das, was ich trotzdem schaffe.

Es ist okay, nicht okay zu sein. Aber es ist nicht okay, sich selbst aufzugeben. Man darf schwach sein. Man darf Fehler machen. Aber man sollte such selbst treu bleiben und nicht vergessen, wer man ist: In meinem Fall: Daniel. Nicht meine Diagnose. Auch wenn es nicht immer einfach ist.

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